Beschichtungssysteme auf Basis von Bitumen dichten beispielsweise Rohre und Tanks ab. Sie haben als petrochemische Werkstoffe aber eine schlechte Ökobilanz und enthalten Tenside, die nicht biologisch abbaubar sind. Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS will gemeinsam mit dem Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP und der bausion GmbH erstmals ein teilweise biogenes Beschichtungssystem für solche Einsatzzwecke entwickeln. Dabei kommen Pflanzenöle und Reststoffe der Holzverarbeitung zum Einsatz. Ergebnis soll nicht nur eine bessere Umweltverträglichkeit sein, sondern auch ein signifikant besseres, breiteres und wirksameres Eigenschaftsprofil sowie optimierte Verarbeitbarkeit des Beschichtungssystems.
Die bausion Straßenbau-Produkte GmbH, eine Firma aus Sachsen-Anhalt, ist spezialisiert auf die Reparatur von Fahrbahnoberflächen. Die dabei eingesetzten Materialien – komplexe, polymerbasierte Verbundsysteme, die resistent gegen viele Umwelteinflüsse und besonders temperaturbeständig sind – stellt das Unternehmen selbst her. Basis für diese Materialien sind Bitumen, die als Nebenprodukte der Erdölverarbeitung anfallen. Diese Gemische aus langkettigen Kohlenwasserstoffen und weiteren Bestandteilen sind sogenannte kolloidale Systeme, in denen schmelzbare und nicht schmelzbare Anteile enthalten sind. Sie sind in einem öligen Dispersionsmittel fein verteilt. Tenside, die man auch als Bestandteile von Wasch- und Putzmitteln kennt, sorgen dafür, dass sich die eigentlich nicht miteinander mischbaren Bestandteile vermengen lassen.
Ganz ähnliche Werkstoffe werden auch als Klebstoff, Material zur Abdichtung oder als Beschichtungssysteme für Silos, Rohre oder mineralische Oberflächen eingesetzt. Dort ermöglichen sie Wärme- und Feuchtigkeitsisolation, Korrosionsschutz oder die nötige Chemikalienbeständigkeit. Auch dabei kommen Bitumen zum Einsatz, ebenso wie Tenside, die dafür sorgen, dass sich stabile Gemische (Emulsionen) aus den einzelnen Bestandteilen und Wasser bilden. Diese Tenside werden üblicherweise ebenfalls petrochemisch hergestellt, also auf Basis von Erdöl. Zudem werden sie bei Beschichtungssystemen nur für die Stabilisierung der Emulsion sowie den Auftrag der Beschichtung benötigt. Ist das Material einmal ausgehärtet, stellen die Tenside ein Abprodukt dar, das nicht biologisch abbaubar ist. Die Lösung hierfür will die bausion GmbH nun gemeinsam mit dem Fraunhofer IMWS und CBP entwickeln: Pflanzenöle, aus denen sich Tenside fertigen lassen.
»Tallöl, Leinöl, Drachenkopföl, Rapsöl oder Cashew-Öl können ebenfalls als kationische Tensid-Systeme dienen. Diese natürlichen Rohstoffe sind, anders als petrochemische Tenside, biologisch abbaubar. Nach der Beschichtung verbleiben sie als Reststoff auf der Oberfläche und werden dort nach und nach abgewaschen und abgebaut, ohne dass die Funktionalität der Beschichtung beeinträchtigt wird. Das wollen wir möglich machen. Zudem sollen durch neue Zutaten die Eigenschaften der Beschichtungssysteme verbessert werden. Sie sind also nachhaltiger und leistungsfähiger«, sagt Andreas Krombholz, Projektleiter am Fraunhofer IMWS.
Die Projektpartner werden zunächst die petrochemischen Systeme charakterisieren und anschließend definieren, welche Anforderungen das neue Beschichtungssystem beispielsweise hinsichtlich Viskosität, Zähigkeit, Abrasion, Medienbeständigkeit, Korrosionsschutz, Dauerfestigkeit in einem breiten Temperaturbereich und Wärmeisolation erfüllen soll. Sie untersuchen, welche Pflanzenöle dafür am besten geeignet sind, mit diesen werden dann im Labor die kationischen Tensid-Systeme hergestellt. Testweise werden verschiedene Trägersysteme mit dem umweltverträglichen neuen Material beschichtet und die erreichte Performance bewertet. Abschließend bauen die Projektpartner Demonstratoren auf, um die Wirksamkeit der Beschichtungen unter realen Einsatzbedingungen nachweisen zu können. Neben der Materialentwicklung des komplexen Multikomponenten- und Mehrphasensystems gilt es auch, produktionsspezifische Herausforderungen in der Mischtechnologie zu meistern und die im Labormaßstab gefundenen Lösungen hochzuskalieren.
Zudem erfolgt eine vollständige Ökobilanzierung des neuen Materials. Zur verbesserten Umweltverträglichkeit trägt auch bei, dass Lignin in das kolloidale Grundsystem eingebracht wird. »Wir wollen OrganoSolv-Lignin nutzen, das aus den Reststoffen der Holzverarbeitung gewonnen wird. So steigt der Anteil der biobasierten Rohstoffe im Beschichtungssystem weiter und erreicht bis zu 30 Prozent. Weitere positive Effekte durch den Zusatz der Lignine sind eine höhere Brandfestigkeit der gesamten Beschichtung sowie eine Schlagzähigkeitserhöhung bei tiefen Temperaturen ohne Zugabe weiterer Additive«, sagt Krombholz.
Das leicht applizierbare, streichfähige Beschichtungssystem, das im bis Ende 2021 laufenden Forschungsprojekt entstehen soll, könnte dann für Anwendungen in der Beschichtung von Wärmespeichertanks und Rohren oder für abriebfeste Beschichtungen für Transportbänder genutzt werden. Auch weitere Anwendungen im Energiesektor, dem Maschinen- und Gerätebau sowie der Verkehrstechnik sind möglich.