Patent für neue Behandlungsmethode
Neuartige bioabbaubare Stäbchen versprechen eine besser verträgliche Behandlung von Parodontitis. Dafür haben Forscher vom Institut für Pharmazie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) einen bereits bekannten Wirkstoff neu kombiniert und diese Erfindung zusammen mit Fraunhofer-Einrichtungen aus Halle zum Patent angemeldet. Patienten könnten damit viele Nebenwirkungen erspart werden. Die Ergebnisse dazu wurden in der Fachzeitschrift International Journal of Pharmaceutics veröffentlicht und sind beim Innovationspreis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet worden.
Parodontose ist eine Volkskrankheit, die meist durch eine bakterielle Entzündung des Zahnfleischs, die Parodontitis, ausgelöst wird. Mehr als 50 Prozent der Erwachsenen in Deutschland entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Parodontitis, meist in höherem Alter. Mehr als zehn Millionen Deutsche haben laut Hochrechnungen eine schwere Form der Krankheit. »Durch die großen Wundflächen ist die Barrierefunktion des Körpers stark gestört, so dass vermehrt Stoffe und Bakterien in den Körper gelangen«, sagt Prof. Dr. Karsten Mäder, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmazeutische Technologie am Institut für Pharmazie der MLU. Die Entzündung wirkt sich auf den ganzen Körper aus und ist oft Ursache für weitere Krankheiten wie Herzinfarkt oder Lungenentzündung. Daher ist nach mechanischen Verfahren zur Zahnreinigung oft eine Antibiotika-Gabe notwendig. Diese erfolgt normalerweise über Tabletten, wodurch der ganze Körper belastet wird. Häufige Nebenwirkungen sind Durchfall, Bauchschmerzen und Übelkeit, aber auch Hautreaktionen wie Rötungen und Juckreiz. Auch die mögliche Ausbildung von Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika stellt bei dieser Gabe ein großes Problem dar.
Besser wäre es, das Antibiotikum würde nicht im ganzen Körper, sondern nur im Mundraum wirken. Mäders Arbeitsgruppe hat daher ein bewährtes Antibiotikum (Minocyclin) mit einem ebenso bewährten Hilfsstoff der Pharmaindustrie (Magnesiumstearat) kombiniert. »Der Komplex ist weiterhin wirksam, aber stabiler. Er setzt das Antibiotikum langsam frei, und zwar an Ort und Stelle«, erklärt Mäder. »Neben der kontinuierlichen und langanhaltenden Wirkstofffreisetzung war hierfür eine einfache Applikationsweise eine weitere Herausforderung. « Seine Arbeitsgruppe hat auch dafür eine praktische Lösung gefunden. Sie nutzt in der Pharmazie ebenfalls bewährte Polymere. Das sind chemische Stoffe, mit deren Hilfe die Forscher biegsame, bioabbaubare Stäbchen herstellen konnten, die den Antibiotika-Komplex enthalten. Die Stäbchen können einfach in die Zahnfleischtasche geschoben werden. Da sie im Körper abgebaut werden, müssen sie im Anschluss an die Behandlung nicht wieder entfernt werden. »Die Stäbchen sind deutlich länger in vitro wirksam als bisherige Marktprodukte«, sagt Martin Kirchberg, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit dem Thema befasst. Er hat unter anderem die Zusammensetzung der Polymere optimiert, um genau die richtige Balance zwischen Festigkeit und Biegsamkeit zu erreichen und sie lange haltbar zu machen. Mittlerweile ist die Entwicklung so weit, dass eine Fertigung im großen Maßstab möglich wäre.
»Durch den Speichelfluss verbleiben viele Arzneistoffe nicht lange genug im Mundraum, um gezielt dort ihre Wirkung freizusetzen. Dafür haben wir eine Lösung entwickelt«, sagt Dr. Andreas Kiesow, der das Projekt am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle betreute. Sein Team untersuchte mit verschiedenen Testmodellen die Adhäsions-, Benetzungs- und rheologischen Eigenschaften der entwickelten Formulierungen, beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie sie mit dem Hart- und Weichgewebe unter möglichst realen Bedingungen im Mundraum wechselwirken.
Das Patent für den Wirkstoffkomplex und die Formulierung wurde zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI und dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, beide in Halle, sowie mit den Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern angemeldet. Mäder und Kirchberg sind mit je 30 Prozent an der Erfindung beteiligt, die restlichen 40 Prozent teilen sich Wissenschaftler der halleschen Fraunhofer-Institute und der Universität Bern. Eine rasche Umsetzung zunächst in klinischen Studien ist möglich, da alle Inhaltsstoffe in pharmazeutischer Qualität bereits auf dem Markt verfügbar sind. Auch die Herstellung erfolgt mit erprobten Methoden, sodass die Stäbchen schon in wenigen Jahren marktreif sein könnten. Die weitere Entwicklung der Formulierung und spätere Einführung in den Markt soll über das vom Fraunhofer IZI ausgegründete Start-Up PerioTrap Pharmaceuticals GmbH in Halle erfolgen.
Beim Hugo-Junkers-Preis, dem Innovationspreis des Landes Sachsen-Anhalt, wurde die gemeinsame Entwicklung am 4. Dezember 2019 mit dem dritten Preis in der Kategorie »Innovativste Projekte der angewandten Forschung« ausgezeichnet.
Das Projekt wurde durch das Land Sachsen-Anhalt mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im Rahmen des Leistungszentrums Chemie- und Biosystemtechnik finanziell unterstützt.