Nachruf auf Prof. Dr. Dr. e.h. Erwin Sommer, Gründungsdirektor unseres Instituts

Am 16. Juni 2024 ist der Gründungsdirektor unseres Instituts, Professor Dr. Dr. e.h. Erwin Sommer, im Alter von 88 Jahren verstorben. Er war von 1977 bis 2001 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg (Breisgau). Bei der Gründung der Außenstelle in Halle (Saale) im Jahr 1992, aus der später das heutige Fraunhofer IMWS hervorging, spielte er eine entscheidende Rolle. Prof. Dr. Matthias Petzold, Institutsleiter des Fraunhofer IMWS von 2019 bis 2022 und heute als Senior Expert im Stab der Institutsleitung tätig, blickt auf die Verdienste des Physikers insbesondere um den Fraunhofer-Standort in Halle (Saale) zurück.

Als einer der wenigen noch aktiven Mitarbeitenden am Institut, die das Wirken von Prof. Dr. Dr. e.h. Erwin Sommer als Direktor unseres »Mutterinstituts« Fraunhofer IWM unmittelbar miterlebt haben, ist es mir ein Bedürfnis, seinen Einsatz noch einmal zu würdigen. 

Mit dem Abstand von mehr als 30 Jahren ist es heute nur noch schwer vorstellbar, unter welchen komplexen politischen Randbedingungen unser Start in die Fraunhofer-Gesellschaft erfolgt ist, welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden waren und welch entscheidende Rolle unser Gründungsdirektor dabei gespielt hat. Es lässt sich eindeutig sagen: Nur, weil Erwin Sommer sich so stark persönlich engagiert hat, unterstützt durch Führungskräfte am IWM in Freiburg, konnte 1992 eine Fraunhofer-Außenstelle in Halle ins Leben gerufen und nachfolgend ein Erfolgskurs beschritten werden.

© Fraunhofer IWM / Margrit Müller
Prof. Dr. Dr. e.h. Erwin Sommer in einer Aufnahme aus dem Jahr 2006.

Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung standen die Strukturen der Forschungslandschaft im Bereich der ehemaligen DDR vor der Auflösung, verbunden mit großen Unsicherheiten für die Beschäftigten. Das folgende rasche Engagement der Fraunhofer-Gesellschaft für den Aufbau Ost war nicht nur eine rein auf Wachstum ausgerichtete Management-Entscheidung. Für viele ihrer leitenden Akteure war es auch ein persönliches Anliegen, einen eigenen Beitrag zum Gelingen der deutschen Wiedervereinigung zu leisten. Zu diesen Personen ist unbedingt Erwin Sommer zu zählen.

Frühe Kontakte zwischen Freiburg und Halle

Sommers damalige Entscheidung, sich im Wettbewerb konkurrierender Ost-Institute stark für eine Fraunhofer-IWM-Außenstelle gerade in Halle einzubringen, war keineswegs selbstverständlich und auch nicht ohne eigene Risiken. Erwin Sommer hat – basierend auf den bestehenden Kontakten des Fraunhofer IWM mit dem Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie (IFE) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Halle – zwar früh erkannt, welche Kompetenzen und Talente am IFE vorhanden waren. Die inhaltlichen Schnittmengen mit dem Fraunhofer IWM, etwa bei der Bewertung der Zuverlässigkeit von Kraftwerkskomponenten, aufzugreifen und auch in Richtung mikrostrukturierter Bauelemente weiter auszubauen, war fachlich sicher sinnvoll. Für ihn mitentscheidend war darüber hinaus aber ganz besonders der hier vorgefundene Pioniergeist der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Bereitschaft, sich den neuen Herausforderungen der Integration in ein ihnen völlig fremdes Wissenschaftssystem zu stellen.

Sommers auf gründlicher Vorbereitung getroffene Entscheidung für eine Außenstelle in Halle war rein fachlich gesehen aber nicht ohne Alternativen, und sie war daher auch im Außenfeld umstritten. Sie entsprach auch nicht den Planungen und Vorgaben des Fraunhofer-Vorstands in München. Es brauchte Sommers ganze Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und Überzeugungskraft, die Widerstände und Bedenken gegen einen Fraunhofer-Standort in Halle zu überwinden. Sein Vorgehen war dabei – typisch für ihn – geprägt von diplomatischem Geschick, Fingerspitzengefühl und Bedacht. Er setzte auf die Kraft der Argumente und auf die mit der Zeit wachsende Vernunft. Gleichzeitig scheute Sommer aber weder Auseinandersetzungen noch konsequente Entscheidungen. In einem Büchlein zu den Ursprüngen und zur historischen Entwicklung des Fraunhofer IWM hat er diesen Weg festgehalten – dieser Abschnitt liest sich wie ein wissenschaftspolitischer Thriller.

Nach der Arbeitsaufnahme der Außenstelle bestand unsere Aufgabe in der Gründungsmannschaft darin, innerhalb einer Übergangszeit von wenigen Jahren den schrittweisen Übergang in das Fraunhofer-Modell zu vollziehen und die dafür nötigen finanziellen Mittel selbst zu erwirtschaften. Das erforderte einen deutlichen Wandel in Kultur und Verantwortungsbewusstsein, was nicht ohne Reibungen ablief. Erwin Sommer forderte diese Weiterentwicklung konsequent ein, aber auch mit viel Verständnis für die unterschiedlichen Prägungen in Ost und West.

Persönlicher Beitrag zum Gelingen der Wiedervereinigung

Dabei war er in der Folgezeit vor allem ein stetiger Förderer und Unterstützer des Aufbaus in Halle. Er betrachtete dies als seinen Beitrag zum Gelingen der deutschen Wiedervereinigung, als eine verantwortungsvolle Aufgabe, aber auch als Herzensangelegenheit aus Überzeugung. Gleichzeitig profitierte der Aufbau in Halle auch von der im Vergleich zu Freiburg (und zu heute) deutlich höheren Gestaltungsfreiheit.

Wenn Strategieplanungen einmal scheiterten oder vereinzelte Interessenskonflikte entstanden, war Sommer offen für sachliche Argumente. Aufgrund seines Gerechtigkeitssinns setzte er auf Fairness und auf einen vernünftigen Ausgleich. Dass der Aufbau in Halle damals letztlich gelungen ist und aus der Partnerschaft zwischen Freiburg und Halle eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte werden konnte, ist für die Anfangsjahre in ganz entscheidendem Maße ein persönliches Verdienst von Erwin Sommer, nach 1996 in der Leitung für Halle unterstützt durch Prof. Dr. Dieter Katzer.

Ermunterung zur Mitsprache und Fokus auf Industriebedarf

Als Person haben wir Erwin Sommer als einen immer auf die gründliche und seriöse Vorbereitung von Entscheidungen setzenden Leiter erlebt, der dabei auch die Mitsprache einforderte. Seine charakteristische Redewendung, bei Planungen rechtzeitig festzulegen »Wer macht was?«, bleibt uns in fester anekdotischer Erinnerung. Für Sommer hatte der Bedarf der Wirtschaft gemäß dem Fraunhofer-Modell hohe Bedeutung. So forderte eine Hallesche Promotionsarbeit, deren Ergebnisse auch ein Jahr nach Abschluss noch nicht zu ersten Industrieaufträgen geführt hatte, schon mal seine Kritik am Betreuer heraus. Der persönliche Kontakt zu den Doktorandinnen und Doktoranden, auch in Halle, war ihm dabei aber wichtig und bereitete ihm ganz offenkundig viel Freude. Viele von ihnen werden sich noch heute gern an seine Förderung erinnern.

© Fraunhofer IMWS
Die »Sommer-Linde« (Tilia platyphyllos) vor dem Institutsgebäude in der Heideallee.

In Halle schätzte Erwin Sommer die damalige Aufbruchstimmung und den Pioniergeist, trotz mancher übergangsbedingter Unzulänglichkeiten. Obgleich sein eigenes Auftreten wohl eher als das eines »formal korrekten und seriösen Leiters alter Schule« beschrieben werden kann, lag ihm auch der im Osten herrschende eher ungezwungene Umgang untereinander und das Miteinander bei Feiern außerhalb der Arbeitszeit. In seinem IWM-Büchlein kommentierte Sommer dies mit der schönen Anmerkung »Eine Paralyse des menschlichen Miteinanders durch typischerweise im Westen bei solchen Anlässen gestellte Fragen, ob die während des Festes verbrachte Zeit als Arbeitszeit zu verbuchen sei und ob der Arbeitgeber für die Kosten der Speisen und Getränke aufkomme, gab es nicht.« Manche solcher Feierlichkeiten wie das Auftreten unsere Halleschen Band aus Anlass seines 60. Geburtstags oder die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bleiben dabei in besonderer Erinnerung. Das Gedächtnis an Erwin Sommer hält auch unsere »Sommer-Linde« (Tilia platyphyllos) wach, die ihm zu Ehren vor etlichen Jahren hinter dem Seminarraum der Heideallee gepflanzt wurde und eben wieder geblüht hat.

Ich bin froh, dass wir im Oktober 2022 anlässlich des 30-jährigen Bestehens unserer Fraunhofer-Einrichtung in Halle in kleinerer Runde in Freiburg gemeinsam mit Erwin Sommer noch einmal zurückblicken und dabei besonders auch seine Verdienste für die kritischen Aufbaujahre zwischen 1991 und 2001 würdigen konnten. Noch einmal sei betont: Ohne seine aus tiefster Überzeugung erfolgte Aufbauleistung gäbe es unser Institut heute nicht. Diese Tatsache sollte uns Verpflichtung bedeuten, sein Andenken auch weiterhin in Ehren zu halten.

Weitere Würdigungen von ehemaligen Mitarbeitenden

Mit Professor Sommer geht ein großartiger Mensch, der mir als wissenschaftlicher Lehrer, Institutsleiter in unruhigen Zeiten und Familienmensch in dankbarer Erinnerung bleiben wird. Mein aufrichtiges Beileid gilt vor allem Familie Sommer.

Dr. Katerina Morawietz, ehemalige Mitarbeiterin am Institut, heute Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr

 

Herr Sommer - mein Doktorvater - war ein sympathischer und gradliniger Mensch sowie hoch angesehender Wissenschaftler, dem insbesondere die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Herzensangelegenheit war und der für uns (damals) junge Doktoranden immer ein offenes Ohr hatte. Ich werde ihn in dankbarer und bester Erinnerung behalten.

Michael Heinzelmann, 1992 -1995 Doktorand am Fraunhofer IWM in Halle