Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung standen die Strukturen der Forschungslandschaft im Bereich der ehemaligen DDR vor der Auflösung, verbunden mit großen Unsicherheiten für die Beschäftigten. Das folgende rasche Engagement der Fraunhofer-Gesellschaft für den Aufbau Ost war nicht nur eine rein auf Wachstum ausgerichtete Management-Entscheidung. Für viele ihrer leitenden Akteure war es auch ein persönliches Anliegen, einen eigenen Beitrag zum Gelingen der deutschen Wiedervereinigung zu leisten. Zu diesen Personen ist unbedingt Erwin Sommer zu zählen.
Frühe Kontakte zwischen Freiburg und Halle
Sommers damalige Entscheidung, sich im Wettbewerb konkurrierender Ost-Institute stark für eine Fraunhofer-IWM-Außenstelle gerade in Halle einzubringen, war keineswegs selbstverständlich und auch nicht ohne eigene Risiken. Erwin Sommer hat – basierend auf den bestehenden Kontakten des Fraunhofer IWM mit dem Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie (IFE) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Halle – zwar früh erkannt, welche Kompetenzen und Talente am IFE vorhanden waren. Die inhaltlichen Schnittmengen mit dem Fraunhofer IWM, etwa bei der Bewertung der Zuverlässigkeit von Kraftwerkskomponenten, aufzugreifen und auch in Richtung mikrostrukturierter Bauelemente weiter auszubauen, war fachlich sicher sinnvoll. Für ihn mitentscheidend war darüber hinaus aber ganz besonders der hier vorgefundene Pioniergeist der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Bereitschaft, sich den neuen Herausforderungen der Integration in ein ihnen völlig fremdes Wissenschaftssystem zu stellen.
Sommers auf gründlicher Vorbereitung getroffene Entscheidung für eine Außenstelle in Halle war rein fachlich gesehen aber nicht ohne Alternativen, und sie war daher auch im Außenfeld umstritten. Sie entsprach auch nicht den Planungen und Vorgaben des Fraunhofer-Vorstands in München. Es brauchte Sommers ganze Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und Überzeugungskraft, die Widerstände und Bedenken gegen einen Fraunhofer-Standort in Halle zu überwinden. Sein Vorgehen war dabei – typisch für ihn – geprägt von diplomatischem Geschick, Fingerspitzengefühl und Bedacht. Er setzte auf die Kraft der Argumente und auf die mit der Zeit wachsende Vernunft. Gleichzeitig scheute Sommer aber weder Auseinandersetzungen noch konsequente Entscheidungen. In einem Büchlein zu den Ursprüngen und zur historischen Entwicklung des Fraunhofer IWM hat er diesen Weg festgehalten – dieser Abschnitt liest sich wie ein wissenschaftspolitischer Thriller.
Nach der Arbeitsaufnahme der Außenstelle bestand unsere Aufgabe in der Gründungsmannschaft darin, innerhalb einer Übergangszeit von wenigen Jahren den schrittweisen Übergang in das Fraunhofer-Modell zu vollziehen und die dafür nötigen finanziellen Mittel selbst zu erwirtschaften. Das erforderte einen deutlichen Wandel in Kultur und Verantwortungsbewusstsein, was nicht ohne Reibungen ablief. Erwin Sommer forderte diese Weiterentwicklung konsequent ein, aber auch mit viel Verständnis für die unterschiedlichen Prägungen in Ost und West.
Persönlicher Beitrag zum Gelingen der Wiedervereinigung
Dabei war er in der Folgezeit vor allem ein stetiger Förderer und Unterstützer des Aufbaus in Halle. Er betrachtete dies als seinen Beitrag zum Gelingen der deutschen Wiedervereinigung, als eine verantwortungsvolle Aufgabe, aber auch als Herzensangelegenheit aus Überzeugung. Gleichzeitig profitierte der Aufbau in Halle auch von der im Vergleich zu Freiburg (und zu heute) deutlich höheren Gestaltungsfreiheit.
Wenn Strategieplanungen einmal scheiterten oder vereinzelte Interessenskonflikte entstanden, war Sommer offen für sachliche Argumente. Aufgrund seines Gerechtigkeitssinns setzte er auf Fairness und auf einen vernünftigen Ausgleich. Dass der Aufbau in Halle damals letztlich gelungen ist und aus der Partnerschaft zwischen Freiburg und Halle eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte werden konnte, ist für die Anfangsjahre in ganz entscheidendem Maße ein persönliches Verdienst von Erwin Sommer, nach 1996 in der Leitung für Halle unterstützt durch Prof. Dr. Dieter Katzer.
Ermunterung zur Mitsprache und Fokus auf Industriebedarf
Als Person haben wir Erwin Sommer als einen immer auf die gründliche und seriöse Vorbereitung von Entscheidungen setzenden Leiter erlebt, der dabei auch die Mitsprache einforderte. Seine charakteristische Redewendung, bei Planungen rechtzeitig festzulegen »Wer macht was?«, bleibt uns in fester anekdotischer Erinnerung. Für Sommer hatte der Bedarf der Wirtschaft gemäß dem Fraunhofer-Modell hohe Bedeutung. So forderte eine Hallesche Promotionsarbeit, deren Ergebnisse auch ein Jahr nach Abschluss noch nicht zu ersten Industrieaufträgen geführt hatte, schon mal seine Kritik am Betreuer heraus. Der persönliche Kontakt zu den Doktorandinnen und Doktoranden, auch in Halle, war ihm dabei aber wichtig und bereitete ihm ganz offenkundig viel Freude. Viele von ihnen werden sich noch heute gern an seine Förderung erinnern.