Günstig, vielseitig, leicht: faserverstärkte, thermoplastische Kunststoffe für Bauteilanwendungen sind unter anderem im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobil- und Luftfahrtindustrie sowie in der Elektrotechnik oder in der Baubranche enorm wichtig. Allerdings werden sie bisher vor allem für Bauteile genutzt, die niedrigen bis mittleren mechanischen Belastungen gerecht werden müssen, beispielsweise als chemisch beständige Rohrleitungssysteme, Terrassendielen oder auch Interieurbauteile für Autos.
Könnte man sie auch für hochbelastete Strukturen einsetzen, würde sich ein großes Potenzial für Leichtbau-Anwendungen eröffnen: Beispielsweise in der Karosserie von Autos könnten faserverstärkte Kunststoffverbunde (FKV) dann zunehmend metallische Strukturkomponenten ersetzen. Aufgrund ihrer hervorragenden spezifischen Eigenschaften sind sie dafür besonders geeignet. Im FKV werden Fasern mit sehr hoher spezifischer Steifigkeit und Festigkeit in die relativ weiche polymere Matrix eingebettet. Durch diese Kombination entsteht ein Verbund, der sehr leicht ist und trotzdem über hervorragende mechanische Eigenschaften verfügt.
Neben faserverstärkten Duroplasten liegt für den Einsatz in Leichtbaustrukturen der Fokus der aktuellen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf thermoplastischen Compositen (TPC). Diese ermöglichen aufgrund ihrer Schmelzbarkeit die Verarbeitung in Warmumformprozessen, sie haben eine Schweißeignung zum nachträglichen Fügen und sind gut zu recyceln. Damit TPC für hochbelastbare Leichtbaustrukturen eine breite industrielle Anwendung finden können, müssen allerdings zunächst ausgereifte Herstellungsverfahren mit reproduzierbarer Arbeitsweise entwickelt werden. Dies erfordert eine Weiterentwicklung bereits etablierter Prozesstechnologien mit Online-Prüfmethoden und fundierten Qualitätssicherungskonzepten. Das Forschungsprojekt »Auslegung und Bewertung von thermoplastbasierten Leichtbaustrukturen (ThermoLeibaS)«, das bis zum 30. Juni 2019 läuft, hat diese Entwicklung einer durchgängigen, virtuellen Wertschöpfungskette und einer neuen Prozesstechnologie zur Herstellung von hochbelastbaren thermoplastbasierten Leichtbaustrukturen zum Ziel.
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS sowie des Fraunhofer-Pilotanlagenzentrums für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ entwickeln in zwei parallel verlaufenden Teilprojekten mithilfe von Prozess- und Struktursimulation ein Bauteil, das die gewünschten Vorteile in sich vereint: leicht, hoch belastbar und in einem gut beherrschbaren Verfahren in gleichbleibender Qualität herzustellen. Dabei setzen die Experten auf die Hybrid-Spritzgusstechnologie, die einerseits besonders schnell und damit wirtschaftlich ist, andererseits eine Anpassung der Faserverstärkung passgenau für die spätere Belastung des Bauteils ermöglicht. Mithilfe der Röntgen-Computertomographie werden die damit hergestellten Bauteile überprüft, etwa hinsichtlich der korrekten Faserausrichtung. Die Daten fließen dann in ein Modell ein, das Prozess-Parameter und Eigenschaften des Bauteils zueinander in Beziehung setzt. »Im Rahmen des Teilprojektes am Fraunhofer PAZ sollen prozesstechnische Untersuchungen und virtuelle Werkzeuge der Prozesssimulation wie Fließ- und Warmumformsimulation weiterentwickelt werden. Das realisieren wir am Beispiel industrierelevanter Demonstratoren«, sagt Dr. Matthias Zscheyge, Projektleiter am Fraunhofer PAZ. »Uns interessieren vor allem die thermoplastischen Leichtbaustrukturen in Kombination mit endlosfaserverstärkten unidirektionalen Tape-Gelegen, sogenannte UD-Tapes. Mit diesen können Bauteile besonders effizient und lastgerecht konstruiert werden und so eine enorme Stabilität erreichen, die zum Beispiel für die Automobil- oder Bauindustrie sehr attraktiv ist«, so Zscheyge. Die Ergebnisse dieser Untersuchung dienen sowohl der Prozessauslegung als auch der Herstellung von reproduzierbaren Laminat- und Bauteilaufbauten. Das Fraunhofer IMWS arbeitet an der korrekten Vorhersage der Faserorientierungen unter variablen Prozessbedingungen. »Temperatur, Druck, Prozesszeit sowie Werkzeuggeometrie bei der Fertigung können die Struktur-Eigenschafts-Beziehungen des Faser-Kunststoff-Verbunds erheblich beeinflussen«, sagt Anne Geyer, die als Wissenschaftlerin den Untersuchungsablauf am Fraunhofer IMWS betreut. Erste Ergebnisse zeigen, dass prozesstechnische Defektphänomene vor allem auf die geringe Verschiebefestigkeit der UD-Tape-Halbzeuge bei aufgeschmolzener Matrix zurückzuführen sind. Alle daraus abgeleiteten Erkenntnisse werden für die Weiterentwicklung der Prozesstechnik sowie für die Erstellung einer Prozesssimulation zur Verarbeitungskette genutzt, um thermoplastbasierte Leichtbaustrukturen in großen Serien zu fertigen.