Medizinische oder kosmetische Wirkstoffe im Bereich des Mundraums an genau der richtigen Stelle zur Wirkung zu bringen, stellt nach wie vor eine starke Herausforderung dar. Das liegt zum einen daran, dass viele Arzneistoffe im Mund aufgrund des Speichelflusses nicht lange genug verbleiben. Für manche Beschwerden müssen Medikamente deshalb systemisch, also den ganzen Körper betreffend, statt lokal angewendet werden. Dies trifft insbesondere bei der Parodontitis zu – eine der häufigsten Infektionskrankheiten weltweit, die nicht nur zur Zerstörung des Zahnhalteapparates führt, sondern auch das Risiko für Rheumatoide Arthritis, Diabetes und Herzkreislauferkrankungen erhöht. So muss ergänzend zur mechanischen Entfernung der mikrobiellen Beläge bei Parodontitis als unterstützende Therapie die Verabreichung von Breitbandantibiotika als Tablette vorgenommen werden. Die hier notwendigen hohen Dosen führen zu Nebenwirkungen, wie einer Veränderung und Dezimierung der Darmflora sowie der Förderung von Resistenzbildungen, die in Industrie- und Schwellenländern ein immer größeres Problem im klinischen Alltag darstellen.
Die Forscher am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS arbeiten deshalb zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Halle (Saale) an einer Applikationsform, die eine solche systemische Gabe vermeiden soll. Das Ziel ist, ein entsprechendes Antibiotikum oder Antiseptikum zu entwickeln, das möglichst einfach und schmerzfrei lokal platziert werden kann. Zugleich ist es notwendig, den notwendige Wirkspiegel des Medikaments über einen langen Zeitraum hinweg zu erhalten.
Zunächst wird mit Hilfe eines bereits bekannten und bei Parodontitis verwendeten Wirkstoffs eine neue Formulierungsplattform entwickelt und getestet. Dabei handelt es sich um eine Art Transportmittel für den Wirkstoff, die eine lang anhaltende lokale Freisetzung ermöglicht. Diese Plattform soll dann später für unterschiedlichste Substanzen und Zwecke erweitert werden. Auch ein späterer Einsatz in präventiven oder selektiv antiseptisch wirkenden Mundpflegeprodukten ist angedacht.
»Unsere Aufgabe im Projekt ist es, die entwickelten Formulierungen auf ihre Eigenschaften hin zu analysieren. Wir bauen verschiedene Testmodelle auf, um die Wechselwirkungen mit dem Hart- und Weichgewebe unter möglichst realen Bedingungen im Mundraum zu testen. Wichtig ist es, die Adhäsions-, Benetzungs- und rheologischen Eigenschaften der Formulierungen zu untersuchen«, erklärt Dr. Andreas Kiesow, Leiter der Arbeitsgruppe Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte des Fraunhofer IMWS in Halle (Saale).
»Wir untersuchen bei diesem Projekt unter anderem unter streng regulierten Bedingungen die Freisetzung des Wirkstoffs aus der Arzneiform und stellen so die spätere langanhaltende lokale Wirkung im Mundraum sicher«, ergänzt Dr. Mirko Buchholz, Leiter der Arbeitsgruppe Wirkstoffdesign und analytische Chemie des Fraunhofer IZI-MWT in Halle (Saale).
Das Projekt, das bis zum 30. Juni 2019 läuft, wird in enger Kooperation zwischen dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS und dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Projektgruppe Wirkstoffbiochemie und Therapieentwicklung IZI-MWT, sowie dem im Rahmen des im Sommer gegründeten Leistungszentrums für Chemie und Biosystemtechnik in Halle (Saale) bearbeitet und vom Land Sachsen-Anhalt gefördert. Dabei werden Experten im Bereich der pharmazeutischen Technologie (Institut für Pharmazie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und aus dem zahnmedizinischen Umfeld (Zahnmedizinische Kliniken, Universität Bern) als kompetente Partner zu praxisrelevanten Fragestellungen aus Mediziner- und Patientensicht von Anfang an eng in die Entwicklungsarbeit einbezogen. Des Weiteren beteiligen sich die Pharmazeutische Kontroll- und Herstellungslabor GmbH, die mibe GmbH Arzneimittel sowie die Skinomics GmbH mit ihrer fachlichen Kompetenz.