Die Überempfindlichkeit von Zähnen ist ein verbreitetes Phänomen, das sich bei Kontakt mit heißen oder kalten Speisen oder der Zahnbürste durch einen plötzlichen Schmerz äußert. Ursache ist ein Rückgang des Zahnfleischs durch chronische Entzündung oder falsche Putzgewohnheiten. Dadurch wird der Zahnhals aus Dentin, das von Tubuli (Kanälchen) durchzogen ist, ungeschützt exponiert. Die flüssigkeitsgefüllten Tubuli bilden eine Verbindung zum Zahninneren, durch die externe Reize an den Zahnnerv weitergeleitet werden. Für die Mund- und Zahnpflegeindustrie ergibt sich aus diesem Problemfeld ein weltweit wachsendes Marktsegment.
Die Anforderung an schmerzverhindernde beziehungsweise –lindernde Produkte ist allerdings hoch, da die Wirkung vom Anwender direkt nachvollziehbar ist. Für den endgültigen Wirksamkeitsbeleg sind klinische Studien nötig. Da diese sehr aufwendig sind, braucht die Industrie Modelle, um Wirkstoffe und Rezepturen bereits während der Entwicklung prüfen zu können. Der dominierende therapeutische Ansatz zielt auf den mechanischen Verschluss der Tubuli und damit auf die Unterbrechung der Reizweiterleitung zum Zahnnerv. Bei Zahnpasten oder Mundspüllösungen wird meist versucht, den Verschluss durch Ausfällung von schwerlöslichen Substanzen zu err eichen. Besonders geeignet scheinen Substanzen, die eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber Säuren und mechanischem Abrieb haben.
Vorgehensweise
In Zusammenarbeit mit unserem Auftraggeber Colgate-Palmolive wurde ein Konzept zur Bewertung der Tubuli-verschließenden Wirkung von Mund- und Zahnpflegeprodukten entwickelt. Dabei wird ein morphologischer Ansatz, in dem der Verschluss abbildend und chemisch charakterisiert wir d, mit einer Durchflussmessung am Dentin kombiniert. Der morphologische Ansatz dokumentiert die Wirkung durch Mikrostrukturanalyse und Visualisierung in aussagekräftigen Abbildungen. Die Durchflussmessung erlaubt als quantifizierbare Methode den Vergleich von Rezepturen im Entwicklungsprozess. Hier geht man nach dem hydrodynamischen Modell davon aus, dass die Verringerung der Permeabilität beziehungsweise der hydraulischen Leitfähigkeit des Dentins mit der Reduktion der Schmerzempfindlichkeit korreliert. In Weiterentwicklung des Modells von Pashley wur de ein Testmodell basierend auf einer Durchflussmesszelle entwickelt, mit der die hydraulische Leitfähigkeit von Dentin bestimmt werden kann (Abbildung 1). Dazu wird Dentin aus Backenzähnen, die aus kieferorthopädischen Gründen extrahiert wurden, präpariert, indem die Wurzel und die Zahnkrone abgetrennt werden und das erhaltene Mittelstück zu einer 500 μm dicken Scheibe geschliffen wird. Eine anschließende Behandlung mit Zitronensäure öffnet die Tubuli, welche im Idealfall senkrecht zur Oberfläche liegen und die Probe vollständig durchlaufen, was einen Mediendurchfluss ermöglicht. Zur quantitativen Bewertung der Tubuli-verschließenden Eigenschaften wird die hydraulische Leitfähigkeit der Dentinprobe vor (Basislinie) und nach einer Behandlung mit dem Testprodukt gemessen und die Differenz (Durchflussreduktion) prozentual bestimmt. Diese Reduktion der hydraulischen Leitfähigkeit dient als Maß für den Tubuliverschluss und die desensibilisierende Wirkung des Produkts. Das Modell erlaubt zusätzlich die Integration von mechanischen und Säur e-Angriffen in den Testablauf.
Ergebnisse
Das vorgestellte Konzept eignet sich durch die Kombination von Visualisierung, chemischer Charakterisierung und quantitativer Messung hervorragend zur Begleitung der Produktentwicklung bei Industriepartnern. Beispielhaft sind in Abbildung 2 die Ergebnisse der Prüfung einer in der Entwicklung stehenden Zahnpasta dargestellt. Verglichen wurden vier unterschiedliche Formulierungen mit einer bereits auf dem Markt eingeführten Zahnpasta mit klinisch belegter Wirkung (Positiv-Kontrolle) und einem Placebo als Negativ-Kontrolle. Das Ziel einer mindestens ebenso hohen Durchflussreduktion wie die der Positiv-Kontrolle wurde bei einer Formulierung (oranger Balken) erreicht und in den rasterelektronenmikroskopischen Bildern dokumentiert.