Gemeinsame Corona-Hilfe – Vom Kochtopf ins Labor

Gemeinsam gegen Corona: Mit diesem Ziel arbeiten das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara und das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale) zusammen. Die Kooperation zwischen Medizinern und Materialwissenschaftlern hat im Verlauf der Pandemie spontane Lösungen für die Bewältigung der Pandemie vor Ort und interessante Ansatzpunkte für vielversprechende Weiterentwicklungen, etwa bei Schutzmasken oder -Kitteln ergeben. Im Interview erläutern Dr. Sven Seeger, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe am Krankenhaus, und Dr. Andreas Kiesow, Leiter der Gruppe »Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte« am Fraunhofer IMWS, wie die Zusammenarbeit entstand, welche Herausforderungen zu meistern waren und wie Betroffene und medizinisches Personal künftig von den gewonnenen Erkenntnissen profitieren könnten.

© Fraunhofer IMWS / Michael Deutsch
Dr.-Ing. Andreas Kiesow arbeitet am Fraunhofer IMWS als Gruppenleiter »Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte« und ist stellvertretender Geschäftsfeldleiter »Biologische und Makromolekulare Materialien«.
© Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) / Marco Warmuth
Dr. med. Sven Seeger leitet als Chefarzt die Klinik für Geburtshilfe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle (Saale).
© Fraunhofer IMWS
Am Fraunhofer IMWS hergestellter Mund-Nasen-Schutz

Wie kam die Zusammenarbeit zwischen dem Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) und dem Fraunhofer IMWS zustande?

Dr. Sven Seeger:

Wir kennen alle die Berichte aus China zu Beginn des Jahres. Als dann im März die wirklich katastrophalen Berichte aus Italien kamen und die Epidemie zur Pandemie erklärt wurde und ich zu diesem Zeitpunkt einen Artikel las, in dem sich ein deutscher Notfallmediziner vor Ort zur Lage äußerte, bereitete mir die Situation wirklich große Sorgen. Vor allem vor dem Hintergrund, was hier in Deutschland durch Corona auf uns möglicherweise zukommen wird. Letztendlich waren wir in der Klinik in der Situation, dass wir uns darauf einstellen mussten, was Corona für uns an personellen, ethischen und moralischen Belastungen, aber auch im medizinischen Bereich in Bezug auf die materiellen Ressourcen bringt. Im Mittelpunkt stand dabei der zentrale Punkt des Infektionsschutzes der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Patienten. In Frankreich und Italien war dieser, laut Medienberichten, bereits gefährdet, da es an persönlicher Schutzausrüstung mangelte. Zentraler Punkt waren die Atemschutzmasken. Es gab aber auch andere Artikel, die knapp wurden bzw. drohten auszugehen. Ich denke hier an Beatmungsschläuche oder Einwegkittel. Ich habe mir die Frage gestellt, ob solche Einwegprodukte notfalls auch mehrfach verwendbar sind, wenn sie mit geeigneten Methoden desinfiziert werden. Solche Desinfektionsmaßnahmen stellen im medizinischen Bereich vor allem thermische Behandlungen von kontaminierten Oberflächen bzw. Materialien mittels Dampfsterilisatoren (Hitze-Dampf-Behandlung) sowie chemische Methoden der Desinfektion dar. Ich bin als Geburtshelfer ein praktisch veranlagter Arzt und habe zuhause, im Hinblick auf die drohende Lage, ausprobiert, was mit einer FFP2-Maske passiert, wenn ich sie in einem Kochtopf einige Minuten lang im Wasser kochen lasse und außerdem mit Desinfektionsmittel, welches viruzid wirkt, besprühe. Mich interessierten dabei die Materialeigenschaften und wie sich diese möglicherweise verändern. Ich konnte zuhause durch die beiden Methoden keine äußerlichen Veränderungen feststellen. Da ich oft am Fraunhofer IMWS vorbeifahre und wusste, dass dort Materialforschung betrieben wird, kam mir die Idee, diesen Ansatz gründlicher und mit der Fraunhofer-Expertise untersuchen zu lassen. Ich habe angerufen, meine Idee vorgetragen und bin bei Herrn Kiesow sofort auf ein bereitwilliges „Ohr“ gestoßen. Bereits am nächsten Tag haben wir uns mit dem nötigen Sicherheitsabstand und Maske im Institut getroffen.

Dr. Andreas Kiesow:

Wir hatten am Institut sehr früh Schutzmaßnahmen getroffen und konnten so die Arbeit am Fraunhofer IMWS weitgehend aufrechterhalten. Trotzdem war das natürlich eine ganz besondere Situation. Beim Treffen mit Herrn Seeger war das Institut in meiner Erinnerung weitgehend leer. Ich spürte gleich dieses gewisse „Machertum“ von Herrn Seeger, dass wir etwas unternehmen müssen. Die Situation war nicht einschätzbar, aber für uns war klar, dass da noch eine Menge kommen kann. Aufgrund der Komplexität der Thematik hat Herr Seeger dann am nächsten Tag gleich mehrere Proben mitgebracht. Wir haben im Institut zusammen überlegt, was und wie wir überhaupt solche Materialien untersuchen können.

Dr. Sven Seeger:
Diese ausgewählten Proben waren damals bei uns in der Klinik bereits teilweise rar. Ich hatte mit meinem ärztlichen Direktor und dem Katastrophenstab gesprochen, welche Einweg-Materialien möglicherweise in den nächsten Tagen oder Wochen ausgehen könnten. Das war die FFP2-Maske, der normale Mund-Nase-Schutz für den OP und Einwegkittel. Ein ganz wichtiger Punkt war ein Beatmungsschlauch für ein DRÄGER-Beatmungsgerät, denn es drohte eine verrückte Situation: Wir haben Beatmungsgeräte, können diese aber nicht nutzen, weil die Einweg-Beatmungsschläuche nicht zur Verfügung stehen. Mit circa fünf oder sechs Proben stand ich dann bei Herrn Kiesow im Institut.

 

Was waren die wichtigsten Ergebnisse?

Dr. Sven Seeger:

Ich bin weder Infektiologe noch Mikrobiologe. Ich habe aber versucht, einen einfachen Ablauf zu skizzieren, wie die Prüfung der Proben aussehen könnte. In diesem hielten wir fest, wie die Fragestellung lautet, welche Materialien untersucht wurden und welche Sterilisationsmöglichkeiten infrage kämen, um Einwegprodukte mehrfach zu verwenden. Diese erste Skizze war natürlich laienhaft und wird so sonst sicherlich nicht am Fraunhofer IMWS eingesetzt. Das Prüfprotokoll war in zwei Teilbereiche mit zwei Ansprechpartnern gegliedert. Ansprechpartner A war das Fraunhofer IMWS für die Materialeigenschaften, die sich mikroskopisch erfassen lassen. Da liegt ja die besondere Expertise des Instituts. Was auf der mikrobiologischen Seite passiert, wurde in Teil B betrachtet. Hier wurde untersucht, ob wir die Proben im Vorfeld gezielt kontaminieren können, damit wir wissen, welche Keime darauf waren. Der Mikrobiologe Prof. Dr. Jatzwauk aus Dresden, den wir für unser Projekt gewinnen konnten, überprüfte nach der Anwendung unserer thermischen und chemischen Verfahren, ob die mikrobiologische Belastung der Proben minimiert wurde.

Dr. Andreas Kiesow:

Wir wollten ein Gefühl dafür bekommen, wie man bei einem Notstand reagieren kann. Es ging nie darum, eine wirklich ausgeklügelte wissenschaftliche Studie mit statistischer Absicherung durchzuführen. Unsere Studie hatte eher einen explorativen Charakter. Es war wichtig, dass das allen Beteiligten auch so klar war und wir jeweils deutlich gemacht haben, wo die Grenzen unserer Kompetenzen liegen. Wir wollten in einer Ausnahmesituation gemeinsam, spontan und flexibel Lösungen entwickeln, und nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte, war ich mir sicher: Das kriegen wir hin. Im Tagesgeschäft unterstützen wir im Geschäftsfeld »Biologische und Makromolekulare Materialien« die Industrie bei der Entwicklung wirksamer Pflege- und Medizinprodukte durch die Untersuchung der Materialeigenschaften im Einsatzfall, durch die Aufklärung von Wirkmechanismen und die gezielte Entwicklung neuer Materialien oder Oberflächentechnologien zur Verbesserung der biofunktionalen Eigenschaften. Demnach war das Projekt in Bezug auf die Inhalte ähnlich im Ablauf wie unser Tagesgeschäft.

 

Wie sahen die Ergebnisse aus?

Dr. Andreas Kiesow:

Wir konnten das, was Herr Seeger zuhause beobachtet hatte, noch einmal wissenschaftlich hier im Labor nachstellen. Mit der jeweiligen Methode haben wir die Proben bis zu fünfmal behandelt. Fast alle Materialien haben bei makroskopischer Betrachtung den Behandlungen widerstanden. Obwohl es Einwegprodukte waren, war nicht wirklich eine starke Veränderung zu sehen. Deswegen haben wir dann mikroskopisch untersucht. Hier konnten wir sehen, dass die FFP2-Masken oder auch der einfache Mund-Nase-Schutz keine signifikanten Änderungen aufwiesen. Bei thermischen Verfahren waren einige Materialien ausgefallen. Bei den Beatmungsschläuchen wird beispielsweise thermoplastisches Material verwendet. Dieses hat sich aufgrund der Wärmeeinwirkung verformt, ebenso zeigten die gummierten Schutzkittel Materialdegradation. Bei den FFP2-Masken konnten wir feststellten, dass die Aerosoldurchlässigkeit minimale Änderungen aufwies, jedoch immer noch in einem sehr akzeptablen Bereich lag. Unserer Meinung nach hätten wir, wenn ein gravierender Notstand eingetreten wäre, ein besseres Gefühl gehabt, um den Personen mitteilen zu können, dass sie ihre Masken nach Sterilisation auch ein zweites, drittes oder viertes Mal benutzen können. Es wäre in jedem Fall besser gewesen als gar kein Schutz. Natürlich müsste man hierzu aber aufgrund der geringen Probenanzahl und dem explorativen Charakter wissenschaftlich nochmal nachsetzen. Normalerweise nimmt man 5-8 Prüfkörper je Einwegprodukt, sodass man zum Schluss eine Statistik hat. Das konnten wir aufgrund der hohen Nachfrage und der Lieferengpässe von Masken nicht abbilden. Wir haben wirklich sehr sparsam mit dem Material gearbeitet.

 

Was waren weitere Hürden oder Herausforderungen bei der Zusammenarbeit?

Dr. Andreas Kiesow:

Die größte Herausforderung aus meiner Sicht war, den Aufwand zwischen die laufenden Projekte zu integrieren und eben die Finanzierung. Für unser kleines Projekt gab es keine Finanzierungsmittel. Beide Einrichtungen, also wir und die Klinik, sind hier in Vorleistung gegangen, um schnelle Hilfe möglich zu machen. Außerdem möchte ich meinem gesamten Team und den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen des Fraunhofer IMWS nochmal für ihr großartiges Engagement bei der Bearbeitung des Projektes Danke sagen.

Dr. Seeger:

Es war nicht so einfach, einen Mikrobiologen zu finden, der mit uns kooperiert. Ich habe versucht regionale Ansprechpartner zu finden, aber wahrscheinlich waren diese in dieser Phase schnell steigender Infektionszahlen mit der Arbeit in ihren Laboren und mit medialen Anfragen so gut gesättigt, dass ich da nicht so schnell ein offenes Ohr gefunden habe. Das es am Ende doch in Mitteldeutschland geklappt hat, verdanke ich dem Dresdner Kollegen Prof. Dr. Jatzwauk.

 

Wie haben die gemeinsamen Aktivitäten unmittelbar beigetragen, die Corona-Situation zu bewältigen?

Dr. Andreas Kiesow:

Man muss sagen, dass Ende März die gesamte Stadt in Aufruhr war. Vertreter des Krisenstabs der Stadt Halle haben uns um Unterstützung gebeten, die unser Institutsleiter Prof. Matthias Petzold auch umgehend zugesagt hat. So haben wir in einem anderen Projekt die Handhabbarkeit, die Durchlässigkeit und den Atemwiderstand von den selbst genähten Community-Masken untersucht. Außerdem haben wir in einem anderen Geschäftsfeld am Fraunhofer IMWS auch selbst Mund-Nasen-Schutz hergestellt.

Dr. Sven Seeger:

Ich habe mich sehr über die Hilfsbereitschaft innerhalb der Stadt gefreut. Ich denke, dass die Initiative der Stadt Halle zur materialwissenschaftlichen Prüfung von Community-Masken durch unsere Aktivitäten im Vorfeld beeinflusst wurde, da der Krisenstab der Stadt wusste, dass das Fraunhofer IMWS in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus St.Elisabeth und St. Barbara die Wiederverwendbarkeit von Einwegprodukten prüft. So kamen Vertreter der Stadt auf die Idee, dass wir auch in der Klinik die Bevölkerungsschutzmasken, die mittlerweile von vielen fleißigen Bürgerinnen und Bürgern und Vereinen genäht wurden, testen könnten. Es gab viele unterschiedliche Modelle, die meine Kolleginnen und Kollegen in der Klinik hinsichtlich der Trageeigenschaften bewerteten. Am Fraunhofer IMWS wurden die Materialeigenschaften in Bezug auf Luftdurchlässigkeit untersucht. Beide Bewertungen flossen in ein Bewertungsprotokoll, das wir in einem gemeinsamen Bericht der Stadt übergeben haben.

 

Sind weitere Kooperationen geplant?

Dr. Sven Seeger:

Wir sollten zunächst die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, unter der Überschrift „Notstand“ zusammenschreiben. Das Fraunhofer IMWS sollte dann entscheiden, ob es für eine Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift reicht. Ich bin der Meinung, dass die Ergebnisse jetzt schon für Länder, deren Gesundheitssystem nicht dem westlichen Standard entspricht, in solchen Situationen von Vorteil sein können. Ich möchte noch einmal betonen, dass wir nicht aus ökonomischer Sicht testen wollten, ob Einwegprodukte mehrfach zu verwenden sind. Es stand zu jeder Zeit ganz klar fest, dass diese nur unter der Bedingung des Notstandes mehrfach verwendet werden sollen.

Dr. Andreas Kiesow:

Die Fraunhofer-Gesellschaft unterstützt gerade zahlreiche Projekte, die einen Beitrag im Kampf gegen die Corona-Pandemie leisten. Auch wir haben entsprechende Fördermittel beantragt. Wenn wir diese Förderung bekommen, könnten wir unsere Ergebnisse zur Absicherung noch einmal reproduzieren und damit die Ansätze verifizieren, denn für eine wissenschaftliche Studie brauchen wir mehr Datensätze. Außerdem könnten wir neue Bewertungsmethoden entwickeln und erproben. Ich habe diesbezüglich schon einige Ideen.