Die Entwicklung von serientauglichen und hochzuverlässigen polymeren Gehäusen für Leistungselektronik-Komponenten haben sich die Werkzeugbau & Kunststofftechnik Kruse GmbH (WBKT) und das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in einem gemeinsamen Forschungsprojekt »PolyLEktronik« zum Ziel gesetzt. Sie wollen insbesondere auf die Anwendung und die Verkettung verschiedener Simulationstools setzen, um die diversen physikalischen Einflüsse und Anforderungen im Herstellungsprozess und im Bauteilbetrieb realistisch berücksichtigen zu können. Darüber hinaus sollen neuartige Prüfmethoden angewendet und sogar in einen neuen Prüfstandard etabliert werden.
Wer Glas verschicken will, umwickelt es mit Folie oder Schaumstoff, die empfindliche Technik im Desktop-PC ist von einem Metallgehäuse umgeben: Sensible Dinge werden durch eine entsprechende Hülle vor externen Risiken geschützt. So ist es auch bei Komponenten der Leistungselektronik. Diese wandeln – beispielsweise als Netzteile, Umrichter oder Wechselrichter – elektrische Energie um und sind dabei je nach Einsatzgebiet extremen Belastungen ausgesetzt: hohe Spannungen, häufige Temperaturwechsel, mechanische Erschütterungen, Feuchte oder andere Einflüsse, die lebensdauerbegrenzende Prozesse begünstigen. Auch leistungselektronische Komponenten benötigen deshalb spezielle Schutzgehäuse, die meist aus Kunststoff gefertigt werden. Zudem werden Polymermaterialien zur elektrischen Isolation der Bauteile sowie als Träger- und Stützelemente in Leistungselektronik-Bauteilen eingesetzt.
Die thermomechanischen und elektrischen Eigenschaften der polymerbasierten Gehäusematerialien, die häufig aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt sind und auch Füllstoffe sowie Additive enthalten, sind entscheidend für den zuverlässigen Einsatz in Gehäusen und damit einhergehend für den zuverlässigen Betrieb der Leistungselektronik-Komponenten. Entsprechend wichtig ist ein tiefes Verständnis ihrer Eigenschaften in Abhängigkeit des Herstellungsprozesses und deren Auswirkung auf die spätere Performance im Bauteil. »Elektronikbauteile werden immer kompakter, immer mehr Komponenten werden auf immer kleinerer Fläche integriert. Im Auto oder Offshore-Windanlagen sind sie erheblichen Belastungen ausgesetzt« sagt Sandy Klengel, Teilprojektleiterin und Leiterin der Arbeitsgruppe »Bewertung elektronischer Systemintegration«, die seit vielen Jahren Forschungsarbeiten in diesem Technologiebereich durchführt und dies auch im Projekt »PolyLEktronik« adressiert. »Das erfordert wiederum neue Lösungen für die Herstellung sowie auch das Design der Gehäuse und die dabei eingesetzten technischen Polymere«, ergänzt Dr. Matthias Zscheyge, der das Teilprojekt »Erforschung von prozess- und simulationstechnischen Konzepten für polymere Gehäuse der Automobil- und Leistungselektronik« am Fraunhofer IMWS leitet.
Das Gemeinschaftsprojekt »PolyLEktronik« hat daher die Entwicklung von Design-, Auslegungs- und Fertigungskonzepten für die Herstellung sowie für den Einsatz von zuverlässigen polymeren Gehäusen für Leistungselektronik-Komponenten zum Ziel. Während das Familienunternehmen WBKT sich auf die Weiterentwicklung von Kunststoffgehäusebauteilen und den zugehörigen Spritzgusswerkzeugen fokussiert, bringt das Fraunhofer IMWS seine Kompetenzen in hochaufgelöster Mikrostrukturdiagnostik und Spurenelementanalyse für Halbleitermaterialien sowie in Kunststoffverarbeitung und Simulation ein. In Summe sollen so neue Lösungen für serientaugliche und hochzuverlässige Gehäusekomponenten mit polymeren Isolationsmaterialien für die Automobil- und Leistungselektronik entstehen.
Der Ansatz dabei ist, dass sowohl die eingesetzten Werkstoffe als auch die Verarbeitungswerkzeuge und -prozesse sowie das Design der Bauteile bereits die späteren Anforderungen im Einsatz detailliert im Blick haben und maßgeschneidert angepasst werden. Dafür werden im Rahmen des Projekts Simulationswerkzeuge für die prozesstechnische, mechanische sowie elektrische Auslegung von Gehäusebauteilen erforscht und angewendet. »Material, Prozess und lokale Mikrostruktur – all das beeinflusst maßgeblich die späteren Eigenschaften des Gehäuses. Die ganzheitliche Betrachtung, die Möglichkeiten der Simulation sowie eine breite Materialdatenbasis ermöglichen eine zielgerichtete und wirtschaftliche Entwicklung sowie Herstellung von polymeren Komponenten für die Leistungselektronik«, sagt Zscheyge. »Das vertiefte Verständnis dieser Vorgänge und die Übertragung in multiphysikalische Simulationstools für eine realistische und zuverlässige Bauteilauslegung bietet enormes Potenzial zur Steigerung der Zuverlässigkeit von elektronischen Baugruppen mit Polymergehäusen«, so Zscheyge weiter. Besondere Aufmerksamkeit liegt dabei auf dem Einfluss von lokalen, prozessbedingten Eigenschaften (beispielsweise der lokalen Faserorientierung sowie Füllstoffverteilung) auf die mechanischen und elektrischen Struktureigenschaften (etwa die Isolationsfestigkeit).
Im Rahmen des Projektes soll die Eignung verschiedener Polymer-Gehäuse-Materialien wie Polyamid (PA) oder Polyphenylensulfid (PPS) sowie der Einfluss von Füllstoffen und Additiven erforscht werden. Dabei kann das interdisziplinäre Team auf Erkenntnisse eines Vorgängerprojekts zurückgreifen. Die darin entwickelte Prüfmethode soll weiterentwickelt werden, um auch für neue Materialien und Materialkombinationen anwendbar zu sein. Sie hat einen großen Vorteil gegenüber den bisherigen Prüfverfahren, bei denen plattenförmige Prüfkörper untersucht werden, das häufig nicht praxisnah ist: Mit der neuen Methode, die auf einer weiterentwickelten Prüfkörpergeometrie beruht, lassen sich anwendungsnahe Einsatzbedingungen wie der Einfluss eines Umgebungsmediums abbilden, sodass Aussagen über das Degradationsverhalten und Alterungsmechanismen von Polymeren unter Einfluss von Feuchte und Temperatur auf wichtige Eigenschaften wie die elektrische Durchschlagsfestigkeit möglich werden.
»Mit unseren hochauflösenden Geräten und Methoden können wir nachverfolgen, wie Diffusions- und Migrationsprozesse in den komplexen Polymermaterialien ablaufen und wie sie von variierenden Umgebungsbedingungen und elektrischen Feldern beeinflusst werden« sagt Klengel. Geplant ist, den neuartigen Prüfansatz zur Bestimmung der elektrischen Durchschlagsfestigkeit im Projekt so weit zu entwickeln, dass im Anschluss die Möglichkeit besteht, ihn als einen neuen Standard im Rahmen einer Zertifizierung nach DIN/ENC/CEN zu etablieren.