Glaskeramiken werden häufig als Materialien ohne signifikante thermische Ausdehnung eingesetzt. Sie sind besonders thermoschockbeständig und verändern ihre Form auch bei Temperaturschwankungen nicht. Besonders häufig Anwendung finden sie zum Beispiel in Glaskeramikkochfeldern oder in Teleskopspiegeln. Die Erzeugung solcher Glaskeramiken ist hinsichtlich der Prozessparameter und der besonders hohen Schmelztemperaturen jedoch so aufwändig, dass nur wenige Firmen weltweit in der Lage sind, diese Materialien herzustellen. Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS haben neue, sich negativ ausdehnende Silicate entdeckt und sie in neuartige Glaskeramiken mit geringer Wärmeausdehnung integriert. Dieses innovative Material ermöglicht günstigere Herstellungsprozesse und neue Anwendungsfelder in Bezug auf Hightech-Produkte oder den Massenmarkt.
Bei der Herstellung von Glaskeramiken werden fein verteilte Kristalle mit negativer thermischer Ausdehnung in einem Glas mit positiver thermischer Ausdehnung erzeugt, sodass am Ende ein nullausdehnendes Material entsteht. Geeignete Kristalle mit negativer thermischer Dehnung sind allerdings äußerst rar, da sie auf hochschmelzenden Lithiumalumosilicaten basieren. Andere Kristallphasen mit negativer thermischer Ausdehnung, die sich aus konventionellen silicatischen Gläsern auskristallisieren lassen, waren bis vor Kurzem nicht bekannt.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer IMWS haben ein neues kristallines Material mit der Zusammensetzung Ba1-xSrxZn2Si2O7 und dieser seltenen Eigenschaft gefunden. Es ist seit mehr als 50 Jahren das erste neue, negativ ausdehnende Silicat mit dem Vorteil, dass die Herstellungskosten von Glaskeramiken mit diesen neuen Kristallphasen signifikant unter denen konventioneller Nullausdehnungsglaskeramiken liegen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich das Ausdehnungsverhalten der einzelnen Komponenten in weiten Temperaturbereichen variabel einstellen lässt.
Das Kristallisationsverhalten dieser neuen Glaskeramik musste in den vergangenen Jahren vollständig neu erforscht werden. Dabei zeigte sich, dass die neuartigen Gläser beim Umwandeln in eine Glaskeramik zur Bildung von Mikrorissen neigen, die schlechtere mechanische Eigenschaften verursachen. Um das zu verhindern, müssen fein im Volumen verteilte mikroskopisch kleine Kristalle erzeugt werden. Dafür werden Keimbildner benötigt, die durch eine Wärmebehandlung des Glases zu einem Ausscheiden winzigster Kristalle im Glasvolumen führen. Auf diesen extrem kleinen Keimkristallen können dann die eigentlich gewünschten Kristalle aufwachsen. Konventionell übliche Keimbildner wie ZrO2 oder TiO2 funktionieren in dem neuen Glassystem jedoch überhaupt nicht. Den Experten des Fraunhofer IMWS ist es gelungen, alternatives Material vollständig neu zu entwickeln.
»Die von uns entdeckten Glaskeramiken zeigen ein anderes Kristallisationsverhalten sowie bedeutend niedrigere Synthesetemperaturen als kommerziell verfügbare. Daher haben wir verschiedenste neue Glaszusammensetzungen hergestellt und mittels höchstauflösender Transmissionselektronenmikroskopie untersucht. Inzwischen haben wir die Kristallisation, also die Überführung des Glases in eine Glaskeramik, soweit untersucht, dass auch größere Bauteile in Größenmengen von mehreren hundert Gramm ohne Rissbildungen hergestellt werden können«, sagt Dr. Christian Thieme, Wissenschaftler am Fraunhofer IMWS.
Durch die deutliche Absenkung der Schmelztemperaturen kann das neue glaskeramische Material in gewissen Anwendungsbereichen durchaus die bisher üblichen Werkstoffe ersetzen, etwa in Präzisionsoptiken. Durch die Verfügbarkeit und einfache Herstellungsweise der neuen Glaskeramiken sowie die Einstellung des Nullausdehnungsbereichs lassen sich ganz neue Anwendungsfelder erschließen: Dazu zählen beispielsweise passive Komponenten für die Optik oder Laserspiegel und Head-up-Displays für Piloten und Autofahrer. Auch für den Massenmarkt, etwa in glaskeramischen Kochfeldern, kann das innovative Material genutzt werden.